Als Joseph Ratzinger 2005 zum Papst gewählt wurde, ging die Überschrift „Wir sind Papst“ durch Deutschland; auch viele unserer Gemeindemitglieder erfüllte die Wahl mit Stolz. Entsprechend heftig sind nun die Reaktionen in Bezug auf die jüngsten Ereignisse im Zusammenhang der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Erzbistum München. Joseph Ratzinger war dort Bischof von 1977 bis 1982.

Worum geht es? Als damaligem Erzbischof von München wird Joseph Ratzinger vorgeworfen, nicht ausreichend dafür gesorgt zu haben, dass durch Kindesmissbrauch straffällig gewordene Priester nicht mehr im Gemeindedienst eingesetzt werden. Er hat zu diesem Vorwurf Stellung genommen und eine Verantwortung zurückgewiesen. Dabei wurde deutlich, dass er an einer Stelle einen Sachverhalt nicht wahrheitsgemäß wiedergegeben hat; er musste dies im Nachhinein auch noch korrigieren. Das Skandalöse an dem ganzen Vorgang ist gar nicht so sehr das menschliche Versagen, einen Sachverhalt nicht richtig wiederzugeben. Das ist ein Teil menschlicher Unzulänglichkeit, die auch vor einem Papst im Ruhestand nicht Halt macht. Auf Unverständnis stoßen hingegen die Unfähigkeit und der fehlende Wille vieler Leitender in der Kirche, Verantwortung zu übernehmen und zuzugeben, dass wir als Kirche unserem Anspruch, gerade für die Kleinsten und Schwächsten da zu sein, über Jahrzehnte nicht nachkommen sind.

Empörung und Erschütterung bewegen auch viele, die der katholischen Kirche nach wie vor eng verbunden sind. Auch sie spüren in diesen Tagen mehr denn je, dass wir an einem Wendepunkt angekommen sind. Jesus spricht in den Evangelien nicht oft über das Thema Macht, aber wenn er es tut, haben es seine Worte in sich: „Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein.“ Es macht den Eindruck, als hätten wir in der katholischen Kirche diese Worte unseres Gründers noch nicht einmal im Ansatz verstanden. Die Art und Weise, wie Macht und Autorität in unserer Kirche verteilt sind, erinnern mehr an einen feudalen Hof als an die Worte Jesu. Wir in St. Raphael sehnen uns nach einer Kirche, die von Aufrichtigkeit, gegenseitigem Respekt und dem gemeinsamen Glaubenszeugnis aller Getauften geprägt ist. Wir halten eine Kirche für möglich, die auch in ihrer Struktur genau diese Würde aller Getauften widerspiegelt.

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